Andi Schmidbauer schreibt für Sie:
Frust oder Freude
„Kommt Ihnen das bekannt vor: Sie wachen morgens auf, und Sie wissen schon, dass der Tag anstrengend wird? Oder es kommen Ihnen Gedanken in den Sinn wie: „Am liebsten würde ich einfach im Bett bleiben und nur so daliegen“?
So erging es mir neulich. Anfangs war mir das gar nicht bewusst, und eine Art von Unlust und Antriebslosigkeit zog sich mit mir durch meine Woche. Am dritten oder vierten Tag als der Morgen erneut so anfing, fiel es mir dann doch auf: Wieso freute ich mich eigentlich nicht auf einen Tag mit meinen KollegInnen im Büro, meinen Freunden am Abend?
Und so stellte ich innerlich eine Anfrage an mich selbst: „Wie denke ich eigentlich gerade?“. Dafür nahm ich mir etwa drei Minuten Zeit und hielt das Ergebnis auf einem Stück Papier fest. Und ich sage Ihnen: Ich war ziemlich erschrocken, als ich las, was ich (war das wirklich ich?) alles aufgeschrieben hatte. Sätze wie: „Das bringt ja am Ende doch nichts…“ und „Keiner sieht, wieviel ich da die ganze Zeit mache…“.
Nach einer Schrecksekunde, stellte ich mir eine weitere Frage: „Will ich eigentlich so denken?“. Meine innere Antwort kam rasch und sehr entschieden: „Nein, das möchte ich nicht.“
Ich nahm mir etwas Zeit und knöpfte mir jede meiner Bewertungen vor: Ich erforschte die dahinterliegenden Bedürfnisse und auch, welche Gefühle damit verbunden waren. Unterstützung und Entlastung waren am stärksten in mir angesprochen, und ich merkte auf einmal, wie wichtig das für mich war. Gefühle wie Unzufriedenheit und Frustration hatten jetzt Raum und durften da sein. So konnte ich auch erkennen, warum ich mich die letzten Tage so unwohl mit und in mir gefühlt hatte. Das fand ich sehr entlastend, und auch nachvollziehbar für mich.
Und fast automatisch begann ich darüber nachzudenken, was ich denn jetzt tun könnte, um meine Bedürfnisse nach Unterstützung und Entlastung zu erfüllen: Meinen KollegInnen im Büro erzählen, wie es mir gerade geht und sie fragen, ob Sie mir Aufgaben abnehmen können – das fand ich eine gute Idee. Meine Stimmungslage begann sich zu ändern: Statt Antriebslosigkeit und Unlust trug mich ein sanfter Eindruck von Tatkraft und Entschlossenheit Richtung Büro. Und ich wurde positiv überrascht, denn meine Bitte wurde nicht nur wohlwollend aufgenommen, sondern wir überlegten im Anschluss gemeinsam, wie wir die anstehende Arbeit am besten bewältigen konnten.
Das ist jetzt etwa 10 Jahre her. Mir ist diese Situation eindringlich im Gedächtnis geblieben, denn sie war für mich ein Wendepunkt im Umgang mit mir selbst und anderen. Vielleicht möchten auch Sie Wendepunkte dieser Art erleben? Mit der Gewaltfreien Kommunikation bietet sich Ihnen dazu vielfach Gelegenheit.
Andi Schmidbauer ist ebenfalls Autor von Beiträgen zu GFK und zu Mediation in Fachbüchern und Fachzeitschriften, zuletzt:
»(Nicht mehr) recht haben müssen – Erforschen der Gefühle und Bedürfnisse aus Sicht der GFK«, Beitrag in: Konflikte lösen in Teams und großen Gruppen S. 178-184 (managerSeminare Verlags GmbH, 2012).